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Von Pira­ten und ande­ren Geschehnissen

Kapi­tel 2

Johan­nas Fuß ver­sinkt im Elb­sand, die Son­ne fun­kelt auf dem Was­ser und an den zig­tau­send Sand­körn­chen des nas­sen Stran­des. Sie kämpft sich mit ihren ers­ten Strah­len durch die noch leicht­schwe­ren Win­ter­wol­ken. Wir ste­hen am Elb­strand und kön­nen den Som­mer schon riechen.

Ist doch so, der Win­ter riecht ein­fach ganz anders als der Som­mer – nicht unbe­dingt schlech­ter, aber irgend­wie starr. Der Som­mer lebt sich anders, der Som­mer lebt, der Win­ter schläft. Die­ses Dau­er­grau – Schnee gibt es ja schon gar nicht mehr. End­lich gehen wir wie­der raus, bald schwim­men wir in der Elbe. Die Klei­nen viel­leicht noch nicht, aber lan­ge wird es nicht mehr dau­ern. David ist das Was­ser immer zu kalt, Johan­na ist noch zu klein.
„Die Strö­mung, da musst du aber auf­pas­sen!“, sagen unse­re besorg­ten Eltern immer.
„Jaa.“, beru­hi­ge ich sie, „ich bin­de mir David ein­fach auf den Rücken, dann pas­siert schon nichts.“
Alle lachen.
Muss man nicht wei­ter ver­tie­fen. Johan­na will jetzt wei­ter und wir müs­sen auf­pas­sen, dass sie kei­ne nas­sen Füße bekommt. David rennt schon den Deich rauf. Wir fol­gen und sehen all­mäh­lich ein altes, reet­be­deck­tes Huf­ner­haus empor­ra­gen. Roter Klin­ker, kein Fach­werk (zumin­dest sehe ich kei­nes vom Elb­deich), aber eine wund­schö­ne, alte Scheu­ne ziert das rau­he Land, auf dem es steht, und sein Haus. Es liegt da, ganz still und ruhig, und hütet den Deich, der so man­chen Sturm hier über­ste­hen muss­te. Alte Lin­den zie­ren den Weg am Haus vor­bei bis zur Scheu­ne, deren Dach noch ganz gut aus­sieht. Schön ist das, denkt das Haus, aber sein eige­nes Dach sieht da nicht mehr ganz so gut aus; mehr als nur ein paar Reet­hal­me feh­len am majes­tä­ti­schen Dach, auch der First wird wohl im Regen den ein oder ande­ren Trop­fen hat pas­sie­ren las­sen müssen.

Wir ste­hen vor einer Haus­tür vor einem frem­den Haus. Mei­ne Frau und ich hal­ten Händ­chen. Ich klin­ge­le. Kei­ner öff­net. Kur­ze Zeit spä­ter ste­hen wir vor einer wei­te­ren Haus­tür vor einem wei­te­ren frem­den Haus. Kei­ner öff­net. Alle guten Din­ge sind drei, den­ke ich mir (es soll­te sich her­aus­stel­len, dass das nicht stimmt), denn beim drit­ten Ver­such öff­net sich die Tür.
„O, öhm, ent­schul­di­gung, dass wir sie am Sonn­tag stö­ren.“, stam­me­le ich.
„Ja?“, ent­geg­net mir eine nüch­ter­ne Stimme.
„Öhm, ja, wis­sen sie viel­leicht, wem das Bau­ern­haus hier rechts gehört? Das steht doch schon seit über einem Jahr leer.“
„Nein – na ja, noch nicht ganz viel­leicht. Das gehört einem alt ein­ge­ses­se­nen Vier­län­der oder so. Hat es gekauft.“
„A.“
„Da hat bis vor kur­zem auch noch jemand drin gewohnt.“
„O.“
„Will das aus­bau­en oder so.“
„Hotel vielleicht.“
„…“
Dann gehen wir. Alle guten Din­ge sind schiet.
„Papa, was machen wir hier?“, fragt David.
Das fra­ge ich mich auch.
„Du willst doch mal ein paar Scha­fe haben, oder?“, fra­ge ich.
„Jaaaa, Papa, und dann noch eins und noch eins und noch eins und dann will ich noch ganz vie­le Tie­re haben, eine Maus und eine Maus und dann noch eine Maus und dann will ich auch noch eine Kat­ze haben und dann will ich noch ganz vie­le Tie­re mehr haben, Papa, Papa!, und dann will ich mit dir toben, und dann will ich in den Kin­der­gar­ten und wann darf ich mich ver­klei­den?, als Pirat, Papa, ich bin ein Pirat, wann gehen wir jetzt in den Kindergarten?“
Ich weiß nicht, wie ich ihm sagen soll, dass wir unser neu­ge­bau­tes Haus los­wer­den wol­len, um ein altes Bau­ern­haus zu kau­fen. Ich weiß nicht, ob er es ver­ste­hen wür­de, und ich weiß nicht, ob er das dann immer noch so toll fände.
Ande­rer­seits fragt ein Pirat ja auch nicht nett nach, ob er viel­leicht irgend­ein ande­res Schiff entern dürfe.

2009

Fünf­ein­halb Jah­re frü­her – wir ste­hen am Deich in Alten­gam­me und betrach­ten eine alte Müh­le. Es reg­net. Ich weiß nicht, wie wir hier­her­ge­kom­men sind, aber urplötz­lich merk­te ich, dass das etwas mit mir macht, die­se Müh­le, die­ses alte Gebäu­de, ich fra­ge mich, wie es hier mal aus­ge­se­hen hat, ich fra­ge mich, wer hier gelebt und gear­bei­tet hat, und ich fra­ge mich, war­um die­ser Ort jetzt so ruhig und tot vor mir liegt. Er schweigt, er erzählt mir nichts mehr und ich fra­ge mich, ob das so sein muss.
„Die ver­fällt.“, wun­de­re ich mich.
„Was?“, fragt Tati.
„Die Mühle!“
„Was ist damit?“
„Guck doch mal, wie schön die ist.“
„Ja.“
Wir haben gera­de erst gebaut. In Kirchwerder.
Da steht Tim­mann drauf, und wir freu­en uns irgend­wie. Ich fra­ge mich, ob man die Müh­le nicht kau­fen könnte.
Und dann fra­ge ich mich, ob ich nor­mal bin – Geld, Zeit, Ahnung? Da kann ich aber gar nichts gegen tun. Die­ser Gedan­ke ist so der­ma­ßen abwe­gig, aber sofort über­le­ge ich wei­ter, wie man viel­leicht doch etwas machen könnte.
Zwei Wochen spä­ter ste­he ich mit mei­nem Vater vor der Müh­le und erzäh­le ihm den gan­ze Kram mit totem Ort und so wei­ter, und dass man damit was machen könn­te. Ist nicht so, dass irgend­ei­ner aus unse­rer Fami­lie sau­viel Geld hät­te oder so, aber viel­leicht kommt mei­nem Vater ja eine Idee, die ich so noch nicht hat­te (ich hat­te bis jetzt kei­ne ein­zi­ge Idee). *
„Du spinnst.“, brummt mein Vater.
„War­um?“
„Das ist doch alles kom­plett verfallen!“
„Jaaa, da küm­mert sich eben kei­ner drum!“
„Ja und ich soll das jetzt machen?“
„Nein! – also ja, also ich mei­ne, wir eben.“
„Ste­fan, du hast gera­de erst gebaut!“
JAA!“
„Komm, das ist ja ganz schön hier, aber – ach! Außer­dem ist das doch viel zu weit weg von allem!“
Sofort wit­te­re ich doch ein Hauch Inter­es­se: „Siehst du! Ja, das stimmt viel­leicht, aber guck mal, der Elb­blick! Und hin­ten das Land!“
„Ste­fan komm, lass uns gehen. Es regnet.“
Es reg­net. Schiet, ja. Dann fah­ren wir wieder.
Zu Hau­se set­ze ich mich auf mein Sofa und betrach­te Tati. Schön ist das. David liegt noch im Ofen, es ist ver­dammt still. Ihr Bauch ist so dick, dass ich mich fra­ge, ob er mitt­ler­wei­le eine Schwer­kraft aus­übt. Ich set­ze mich neben sie. Und tat­säch­lich, ich füh­le mich ange­zo­gen. Mei­ne Hand wan­dert über ihren Bauch und ich beu­ge mich über die gigan­ti­sche Kugel.
„Blub­ber­wu­sel, hörst du mich? Wir kau­fen viel­leicht bald eine Müh­le!“, flüs­te­re ich.
„Papa!“, ruft Tati.
„Scherz!“
Aber das The­ma lässt mich nicht los, und die Fra­gen wer­den nicht weniger.
Doch.
Irgend­wann den­ke ich auch, dass ich nicht ganz dicht bin.

* Was jetzt aus der Müh­le gewor­den ist, ist auf jeden Fall sehr toll. Ich sage Danke!

Wenn ihr irgend­wel­che Tipps für uns habt, wür­den wir uns wirk­lich sehr freu­en, wenn ihr uns anmai­len wür­det (über eine tol­le “Beloh­nung” kön­nen wir dann auch reden ;)
info@4lande.de

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