Unser erstes Erdbeerfest
Kapitel 8
Das Rieck Haus
„Hier muss es sein!“, rufe ich.
„Wo?“, fragt Tati.
„Ja hier irgendwo, das stimmt doch, Curslacker Deich 228, das kommt da doch gleich!“
„Ja!“
„Siehst du!“
„Ist dein Vater noch hinter uns?“
„Was?“
„Dein Vater, ist der noch hinter uns?“
„Ja!“
„Park doch jetzt einfach hier! Den Rest gehen wir dann. Nachher kriegen wir da keinen Parkplatz mehr oder so.“
„Ach.“
„Doch!“
„Ja.“
Wir fahren Auto, und In der Tat, wenige Meter weiter scheint der Deich zu Ende. Denn die Autokarawane vor uns kommt zum Stehen, und ich frage mich, wie binnen weniger Sekunden die Dorfidylle in innerstädtische Autos-die-alles-verstopfen-Hektik umschwingen kann. Schnell fahre ich an den Deichrand – dabei stürze ich mein Auto fast denselbigen hinunter – und betrachte das rege Treiben.
„Hier soll das Erdbeerfest sein?“, frage ich.
„Ja hier wohl nicht. Das Rieck Haus kommt aber gleich.“
„Ja!“
„Wo sind deine Eltern?“
Ich weiß es nicht. Und ich kann nicht glauben, was hier los ist. Unser erstes Erdbeerfest. Unser erstes Mal Rieck Haus.
Als sich wenig später vor mir dieses ehrfurchtsvolle, alte Bauernhaus auftut, kann ich es kaum glauben. Sofort schwelge ich in einer anderen Welt und bin von der Idylle des Freilichtmuseums schier geplättet. Die alte Bockmühle im Zentrum, die Scheune, das schöne Backhaus und der Haubarg (was das alles sollte, wusste ich damals noch nicht), verzaubern mich augenblicklich (Achtung Kitsch – ständig verzaubert mich alles, was soll ich machen?).
Ich schaue Tati an, ihre Augen strahlen auch. Doch sie guckt weder die Häuser, die Stände oder die weiten Felder noch irgendwelche historischen Gewerke an, ihr Blick klebt an einer buntroten, wundschönen Dame – der Erdbeerkönigin (es war die erste).
„Purzel!, das will ich auch mal sein!“, platzt aus ihr heraus.
„…“ Was soll ich sagen?
Meine Eltern sind schließlich angekommen und können sich dem Zauber auch nur schwer entziehen. Eben noch habe ich mich gewundert, wie in dieser Dorfidylle eine derartige Hektik ausbrechen kann, jetzt kann ich nicht glauben, dass ich im 21. Jahrhundert lebe. Überall werkeln, schnitzen oder spinnen Menschen in Kluften, Kostümen und Trachten herum, Musik erklingt aus alten Instrumenten und Trachtengruppen schwingen auf der Bühne das Tanzbein.
Der erste Auftritt von Ernst (den wir hier das erste Mal gesehen haben): „“§)$ §$)% ( !§=)% §%)($ $) (%%§“= $)(%§&/!“
Ernst schnackt Platt. Wir verstehen kein Wort (das hat sich im Laufe der Jahre zum Glück geändert). Irgendwann redet er hochdeutsch und wir verstehen ein bisschen. Schön ist das. Er stellt die einzelnen Trachtengruppen, Gewerke und das Rieck Haus vor und hat immer einen lustigen Spruch auf den Lippen.
Natürlich probieren wir irgendwann auch Erdbeerkuchen‑, bowle oder andere Gerichte mit der Sammelnussfrucht (das ist die Erdbeere nämlich, hab ich mittlerweile auch gelernt), aber das Rieck Haus bleibt mir seit dem Erdbeerfest am meisten im Kopf. Die Lütt Döns, die Grot Döns, der Stall und all die anderen Räumlichkeiten des Rieck Hauses lassen mich tief in eine Zeit eintauchen, die der heutigen so fremd scheint und doch so fasziniert. Von 1533 ist der erste Eichenbalken des Rieck Hauses, das kann man sich ja kaum vorstellen.
An diesen zwei Tagen haben wir die Welt wieder aus den Augen von Kindern gesehen.
Jedes Jahr wieder sind wir da (Tati ist mittlerweile tatsächlich Erdbeerkönigin geworden) – doch 2010 hat unser Leben verändert, möchte ich mal sagen. Denn Heinz Werner, der Vorstand vom Freundeskreis Rieck Haus, hat uns gefragt, ob wir nicht einmal beim Wagen des Rieck Hauses zum Erntedankfest mitlaufen wollen.
Wenn ihr irgendwelche Tipps für uns habt, würden wir uns wirklich sehr freuen, wenn ihr uns anmailen würdet (über eine tolle “Belohnung” können wir dann auch reden ;) info@4lande.de